Perfektes Image und reale Gefühle

Nicht perfekt zu sein braucht Mut.
Tanja Raupp stiftet in ihrem Gastbeitrag zur Blogparade #EmotionSchafftMehrwert Unternehmen an, sich im eigenen Imagefilm echt zu zeigen.

Ein modern eingerichtetes Büro. Darin zwei Männer und Frauen - alle gut aussehend und business-mäßig gekleidet. Offensichtlich arbeiten sie an einem gemeinsamen Projekt.
Mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Konzentration studieren sie Unterlagen, telefonieren mit ihren Smartphones oder tippen in Ihre Laptops.
Dann stehen sie vor einem Whiteboard das schemenhaft ein Ablaufdiagramm zeigt.
Dabei diskutieren sie leidenschaftlich, lächeln, nicken sich zu und notieren hin und wieder etwas auf dem Whiteboard.

So könnte eine Szene aus einem Imagefilm eines Unternehmen aussehen.
An Emotionen wird hier nicht gespart.
Vielmehr wird eine Erlebniswelt kreiert, die für das Unternehmen begeistern soll. Dazu gehört eben auch der Einblick in die Arbeitswelt der Mitarbeiter.

Kameraschwenk auf eine der Frauen aus der vorangegangenen Büro-Szene.
Diesmal ist sie jedoch nicht im Büro, sondern zu Hause in ihrem Arbeitszimmer. Den dunkelblauen Hosenanzug hat sie gegen Jeans und ein weißes T-Shirt getauscht, die zuvor hochgesteckten Haare fallen ihr lockig über die Schulter.
Sie sitzt vor einem Schreibtisch mit zahlreiche Bücher. Sie lächelt entspannt in die Kamera. Mit Stolz und Begeisterung erzählt sie von dem MBA-Programm, an dem sie nach Feierabend teilnimmt.
Ein kleines Kind läuft zu ihr und schmiegt sich mit strahlendem Gesicht an ihre Beine.
Nein, es sei nicht schwer, Familie, Job und Weiterbildung unter einen Hut zu bekommen - man müsse sich ausschließlich gut organisieren und dabei helfen Kollegen und spezielle Firmenprogramme.

Nicht perfekt zu sein braucht Mut.

Unternehmen dürfen und müssen sich von ihrer besten Seite zeigen, schließlich stehen sie im Wettbewerb um Kunden und Mitarbeiter.
Allerdings ist diese perfekte Arbeitswelt, an der PR-Abteilungen lange gefeilt haben, durch die elektronischen Medien allgegenwärtig und sickert langsam aber stetig in unser Bewusstsein ein.
Und schließlich werden die Figuren aus den Imagefilm, denen die Arbeit im Team und die Weiterbildung nach Feierabend so leicht fällt, von realen Kollegen als Vergleichsgröße herangezogen.

Es braucht eine große Portion Mut, um sich und anderen in dieser scheinbar perfekten Welt einzugestehen, dass man nicht perfekt ist.
Dass man nicht den ganzen Tag mit Begeisterung und Freude bei der Arbeit ist, sondern die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen hat zu der auch Unlust und Überlastung gehören.
Dass zu den eigenen Bedürfnissen nicht die Weiterbildung nach Feierabend gehört, sondern vielmehr eine klare Grenze hinsichtlich des Arbeitsvolumens.

Leichter würde es, wenn Unternehmen eine Haltung leben, in der alle Gefühle ihre Berechtigung haben dürfen. Und in der mit den Bedürfnissen hinter den Gefühlen sorgsam umgegangen wird.
Hat jemand den Mut einzugestehen, dass ihn das momentane Arbeitsaufkommen überfordert, ist ein „das wird schon, ich glaube an Sie“ ebenso fehl am Platz wie der Versuch, das ungute Gefühl sofort in ein gutes verwandeln zu wollen.
Vielmehr hilft Verständnis „ich kenne die Situation“ und eine individuell erarbeitete Lösung.
Unternehmen die ihre Mitarbeiter zu lebenslangem Lernen und Ausprobieren von Neuem ermutigen, müssen mit Frustration umgehen können. Denn wer Neues lernt, muss Hürden überwinden und wer Dinge ausprobiert kann scheitern - und das darf frustrieren.

Was Unternehmen davon haben?
Sie rollen ihren Mitarbeitern einen roten Teppich aus, um die Komfortzone zu verlassen. Denn wer Neues wagt, wird Niederlagen erleben.
Aber dazu sind viele erst dann bereit, wenn sie angstfrei Schwächen eingestehen können und eben nicht das Gefühl haben, perfekt sein zu müssen.
Vielleicht werden sich innovative Unternehmen künftig dadurch auszeichnen, dass sie in ihrem Imagefilm auch über ihr schönstes Scheitern berichten.