Teamwork: Über Fairness im Geben und Nehmen

Fairness ist ein Bedürfnis, das wir Menschen in unseren Beziehungen unbedingt berücksichtigt wissen wollen.
Daher führt unsere Intuition auch unbewusste Kassenbücher über das Geben und Nehmen in unseren Beziehungen. Konflikte und Missverständnisse sind hier vorprogrammiert.
„Ich habe mir in den letzten Monaten den Hintern für Ihre Strategie aufgerissen und nun soll ich zur Belohnung auf diesen Nebenkriegsschauplatz abgeschoben werden?“
„Mal wieder typisch - das Fußvolk badet aus und für die obere Etage gibt es einen noch feineren Furhpark…“
„Wir hängen uns im Vertrieb Tag und Nacht rein und aus der Produktion hören wir dann nur lautes Aufstöhnen über die Belastung.“
„Wenn der sich endlich mal genauso anstrengen würde wie ich…“
„Ich trage hier das gesamte unternehmerische Risiko und die Herren spielen hier Dienst nach Vorschrift.“
Aussagen dieser Art hören wir so oder ähnlich immer wieder, wenn es um Verbesserung der Zusammenarbeit und produktiveres Teamwork geht.
Der Vorwurf lautet ähnlich gleich: Das Verhältnis zwischen meinem Einsatz und deinem Gewinn stimmt in unserer Beziehung nicht.
Es ist eine systemische Störung, also ein Beziehungsthema, wenn die Balance zwischen Geben und Nehmen nicht stimmt.
Dummerweise bewerten Menschen diese Balance ganz subjektiv.
Für den einen ist die Unterstützung im Kollegenkreis am Samstag eine Selbstverständlichkeit im Sinne des gemeinsamen Erfolgs, für andere ist dies ein Mehraufwand, der wenigstens besonders gewürdigt werden sollte.
Und auch das Thema Würdigung ist selten einfach, schon gar nicht für Führungskräfte.
Erstens wird manche alltägliche Arbeitsleistung allzu selbstverständlich genommen. Lediglich „die Extrameile“, das Sonderprojekt, der Mehraufwand wird gesehen - zumindest bei manchem Leader. Daher ist es kaum verwunderlich, dass bei Befragungen immer wieder Menschen beklagen, zu wenig Wertschätzung und Lob zu erhalten. Der Weg zur Gratifikationskrise (=wenigstens will ich mehr Geld) ist in solchen Umfeldern nur kurz.
Zweitens fallen manche Leistungen einfach schneller oder intensiver auf. Es ist wie beim Fußball: Weltfußballer werden seltenst Verteidiger oder Torhüter, dafür aber Sütrmer. Unser Fokus liegt oftmals bei denen, die das Ergebnis erzielen, dabei kommen diejenigen, die das Spielsystem dahinter erst ermöglichen mitunter zu kurz. Es mag helfen, sich dieser selektiven Wahrnehmung bewusst zu sein und daran erinnert immer wieder das Gorilla-Experiment:
Daniel Simons legendäres Experiment zur selektiven Wahrnehmung
Für den Alltag helfen Führungskräften gegen die selektive Wahrnehmung Fragen wie:
- Was übersehe ich regelmäßig?
- Worauf fokussiere ich meine Wahrnehmung (und dann Frage 1)?
Schwierig ist obendrein, dass wir Menschen mit der subjektiven Bewertung auch unser Gefühlsleben speisen.
Manchem bringt es große Freude, anderen zu helfen, sich altruistisch zu verhalten. Dafür braucht es keinen (großen) Lohn. Nur so funktionieren Gehaltsstrukturen in helfenden, pflegenden, sozialen Berufen. Das Geben ist Teil des Selbstbildes und des persönlichen Wohlbefindens.
Diese helfenden Hände finden sich aber auch abseits der Sozialberufe. Sie stecken zurück, fordern wenig, opfern sich auf. Für Teammitglieder ist es oftmals schwer, das auszuhalten und nicht in ausgeglichenem Maße zurückgeben zu können.
Das wird besonders signifikant, wenn der Löwenanteil der Leistung / Verantwortung in einem Team von Führung getragen wird und sie sich weigert, Unterstützung anzunehmen. Für mehr Balance in dieser Schieflage braucht es die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und Hilfe von anderen anzunehmen.
Das verlangt ein gewisses Maß an Vertrauen, da es gerade handlungsstarken Menschen schwerer fallen kann, nicht mehr alles selbst zu entscheiden.
Umgekehrt gibt es natürlich auch die Wahrnehmung, dass sich einzelne in Beziehung zu sehr bedienen, zu egoistisch seien. In der Psychologie kennt man das Rückkopplungsphänomen als negativen Altruismus, bekannt geworden durch das sog. Ultimatumspiel.
Dabei wird dann die Schadenfreude zum ausgleichenden Gefühl zu dem sozialen Ekel erlebter Unfairness. Das kann sich dann in Veränderungsverweigerung, Dienst nach Vorschrift oder Zurückhalten eigener Innovationsideen verstecken, manchmal auch offenkundig in Privatisierung von Arbeitszeit oder Arbeitsmitteln.
Auch wenn manches Nehmen offenkundig übermäßig ist, so neigen Menschen nach einer Studie der University of California doch zugleich zum Überschätzen der eigenen Leistung.
Je mehr Menschen zusammenarbeiten, desto höher beziffert jeder den eigenen Beitrag.
Hinter diesem Effekt steckt die menschliche Denkfaulheit, nur über den eigenen Beitrag nachzudenken und die Antrengung zu vermeiden, auch über die Leistung der anderen zu grübeln. Allerdings kann nur derjenige seine Leistung realistisch einschätzen, der auch den Beitrag der anderen beurteilen kann.
Zum Umgang damit helfen Teams und ihren Leadern die ein oder andere Maßnahme. Eine Balance zwischen Geben und Nehmen zu finden, ist kein einfaches Unterfangen, sondern stets eine Annäherung an die Komplexität menschlicher Beziehungen.
Es vermeidet nicht allein Konflikte, sondern dient auch dem Fortschritt dieser Beziehungen, regelmäßig und differenziert auf diese Balance zu schauen und sich den emotionalen Wahrheiten zu stellen.
Helfen können:
Beitrag sichtbar machen
Damit weniger über eine BlackBox nachzudenken ist, können Formen und Formate entwickelt werden, in denen die einzelnen Beiträge zum Gesamterfolg sichtbar werden. Das könnten Customer Journeys sein, mit Kontaktpunkten zu allen Teammitgliedern; das können Darstellungen von Kernprozessen mit sichtbaren Verantwortlichkeiten sein; das können aber auch Reflexionsrunden sein, in denen alle aussprechen, welchen aktiven Beitrag sie zum Erfolg bringen und wo ihre Stolpersteine und Hürden sind. Das erzielt dann zugleich die Wirkung eines LessonsLearned.
Rollenwechsel initiieren / Rotation
Rotation ist ein probates Mittel, um für fachliche Themen eine Doppelbesetzung zu ermöglichen. Sie dienen zugleich dem Zweck, dass jemand Einblick in die Welt der anderen Position bekommt. Diese Art Rollenwechsel kann ich auch in Personalgesprächen oder Teamrunden einbauen („Nehmen Sie mal die Position von X ein…“), am wirkungsvollsten ist dies sicherlich mit realen Erfahrungen. Eine zeitlang am anderen Arbeitsplatz verbracht, öffnen sich die Augen für die Leistung und Belastung, die sich hier ergibt. Damit wird zudem die o.g. Denkfaulheit bei der Überschätzung eigener Leistung aufgebrochen und Sensibilität für das Zusammenwirken unterschiedlicher Teilziele erhöht. Je größer, mithin anonymer eine Organisation wird, desto lohnenswerter ist diese Investition.
Selbstreflexion
Selbstverständlich können diese Formen der Reflexion auch in die Selbstführung übertragen werden. Reflektierende Fragen in möglichst viele Führungskontakte einzubauen und damit zum systemischen Denken anzuregen, sie zum immanenten Teil von Feedback- und Personalgesprächen werden zu lassen, sie ritualisiert jedem in und an die Hand zu geben, wären mögliche Formen. Allein, sie aktiv anzusteuern und die beschriebenen Effekte zu Geben und Nehmen auf der eigenen Agenda zu haben, sorgt dafür, dass sich die Aufmerksamkeit im Team darauf erhöht.
Und zum guten Schluss die Zauberfrage, die jede Beziehung voran bringt, weil sie auf Vertrauen, emotionale Bindung und Gegenseitigkeit einzahlen kann:
„Was kann ich für dich tun, wie kann ich dir behilflich sein?“
Öffnen Sie sich selbst den Raum für echtes Wachstum von Innen.
Jetzt den ersten Schritt gehen: