Change Management: Die vier Veränderungsstrategien der Unternehmenspraxis

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Der Wandel ist beständig, es bleibt alles anders - Veränderung gehört zum unternehmerischen Alltag.

Changeprozesse werden in der Praxis anhand typischer Strategien gestaltet.

Der Kunde hat Recht. Das ist aus systemischer Sicht eine wichtige Grundhaltung. Zugleich führt es dazu, dass Veränderungsprozesse oftmals aus der inneren Logik einer Organisation initiiert und gestaltet werden.
Damit werden dann leider auch die systemischen Fehler wiederholt und echte Evolution findet kaum statt.

Im Alltag als Change-Coaches begegnen uns wiederkehrende Muster. Sie lassen auf Grundhaltungen zurückschließen.
Wesentliche Aufgabe im Coaching ist mithin, neben dem eigentlichen Veränderungsthema auch die Veränderung als eigentlichen Prozess und den notwendigen Paradigmenwandel in den Köpfen bewusst und offen zu gestalten.

Zunächst zur Einordnung. In der Praxis finden sich folgende vier typischen Veränderungsstrategien:

Wildwuchs


Das Abkupfern gelesener, gehörter oder vormals erlebter Best-Practice-Konzepte führt zu einer eher unabgestimmten, beliebigen und damit konzeptlosen Veränderung.
Die Annahme, dass Organisationen grundlegend gleich funktionieren oder es quasi Goldene Lösungen gibt, führt zum Ausblenden von Unterschieden zum eigenen Markt und zur eigenen Identität als Organisation.

Gerade bei starker Differenzierung einzelner Unternehmensbereiche, die bis zur inneren Zersplitterung führen können, wachsen Insellösungen mit Idealanspruch besonders wild.
Verstärkt werden kann dies durch externe Berater, die ebenfalls mit vermeintlichen Ideallösungen auftauchen. 
Insgesamt entsteht zwar viel Aktivität, aber eher im Sinne eines Drehens im Kreis.
Widersprüche zur eigenen Unternehmenskultur und zum eigenen Markt sorgen für Inkompatibilität von Ansätzen und Widerstand.

Die Einmaligkeit einer Organisation und ihrer Außenwelt zu missachten wird meist böse bestraft.
Ebenso bestraft wird es, wenn jeder Verantwortungsbereich sich mit hohem Anspruch abgekoppelt vom Rest entwickelt.
Also Vorsicht vor Guru-Lösungen und Finger weg von Insel-Guru-Lösungen!

Logik


Der homo oeconomicus entscheidet rational, logisch und vernünftig. Mit den richtigen sachlichen Argumenten sollten Veränderungen also klappen.
Wer also die richtigen Experten ausreichend lang analysieren lässt, wird die richtige Lösung geliefert bekommen, die dann ja nur noch umgesetzt werden muss. Es ist wie beim Arzt, der eingehend untersuchen und die richtige Therapie verschreiben soll.

Sieht man einmal von der obigen Guru-Warnung ab, liegt der Sachverständige mit seinem Wissensvorsprung sicherlich oftmals genau richtig und präsentiert Lösungen aus einem Guss. Das mag zur schnellen, weil einleuchtenden Umsetzung führen.


Zugleich wird übersehen, dass der Mensch nicht auf Knopfdruck funktioniert, unser Verhalten hochgradig emotional und viel weniger rational gesteuert ist, als im erstgenannten Menschenbild angenommen.
In Organisationen potenziert sich der Widerstand, wenn Menschen erleben, dass die Lösung kulturell nicht passt, die Fremdlösung übergestülpt wird (und man selbst zum Amateur degradiert wird), praktizierte Handlungsweisen oder Netzwerke plötzlich untauglich scheinen und verändert werden sollen, die Empfehlungen als zu unspezifisch erlebt werden oder einfach die Identifikation mit dem Lösungsweg fehlt.

Dann ist für die Schublade gearbeitet worden, da die Lösung niemals leben wird. Vorsicht also vor der grauen Theorie!

Macht


Wer nur genug Macht gebraucht, kommt gut darum herum, die Einstellung von Menschen zu verändern.
Statt Dialog, Kreativität und Konsensbildung setzen einzelne oder kleinere Gruppe auf ihre formale oder persönliche Machtlegitimation wie fachliche Überlegenheit, Entscheidungskompetenz, Prestige, Einfluss u. ä.
 Macht hat Vorteile, wenn schnell entschieden und umgesetzt werden muss. Es hilft, wenn Mächtige sich die richtigen Experten zur Seite holen (die dann aber bestenfalls Erfüllungsgehilfen sind) und Betriebsblindheit vermieden wird.

Und Macht hilft, wenn sich Mächtige mit Menschen finden, die sich weigern, ihre Verantwortung zu übernehmen. Dann passen die emotionalen Systeme in der Organisation komplementär zueinander.

Allerdings schafft genau dies andere Schwierigkeiten. Statt auf Autonomie auf Abhängigkeit zu setzen, statt auf Vertrauen, Akzeptanz und Einsicht auf Druck, Sanktionen und Kontrolle zu setzen, zerstört die Erneuerungsfähigkeit jeder Organisation.
Die Negation der menschlichen Bedürfnisse sorgt zugleich für eine tiefgreifende emotionale Störung einer Organisation, die sich schlimmstenfalls im Aufbau einer Gegenmacht oder Partisanenkämpfen im Alltag zeigen kann.
Diktatorische Veränderungen wirken folglich immer nur kurzfristig und mit hohem Daueraufwand. Also Vorsicht vor absolutistischen Verhältnissen!

Entwicklung


Ohne Verantwortungsübernahme der Organisationsmitglieder, bei zu hohem Anspruch oder bei zu geringem Zeitinvest kann jede Entwicklungsstrategie scheitern.
Kritiker bemerken zu Recht, dass es ja so anstrengend und langwierig ist, an der Einstellung und Haltung im System zu arbeiten und damit auch noch auf Führungsebenen vorbildlich zu beginnen.

Das mag sein. Doch die Verantwortung für Veränderung trägt letztlich die Organisation mit all den Menschen darin. Bei ihnen liegt aber auch die Lösungsfähigkeit, die es zu aktivieren gilt.
Ohne eine gemeinsame konstruktive Absicht, ohne ein Zukunfts- oder Zielbild und ohne funktionierende Interaktion wird die kreative Kraft jedoch kaum zu heben sein.

Derartige Prozesse sind kaum auf dem Reissbrett zu entwerfen, sondern entwickeln sich rollierend.

Organisationsentwickler sind somit Architekten eines Prozesses statt Lösungslieferant. Sie beobachten, spiegeln, regen an, fragen nach, gestalten Räume und Dialog, fokussieren, prüfen und stärken.
Sie tragen die Veränderung in den Alltag und geben Zeit. Sie arbeiten an wahrhaftiger Haltungsänderung und sie verstehen eine Organisation als lebendes System.

Lehren für die Change-Praxis

Schneller ist langsamer.
Wir treffen oftmals einen Mix aus diesen Typisierungen an. Da es gerade technisch-logisch-prozessual orientierte Unternehmeswelten gewohnt sind, sich einer der ersten drei genannten Strategien zu bemächtigen, ist die anfängliche Veränderungsarbeit tatsächlich Arbeit an der Haltung der Verantwortungsträger.
Wer sich mit agilen Projekten aus der IT-Welt auskennt, weiß um die begrenzte Planbarkeit von Projekten und die Chance von regelmäßigen Iterationen mit einem zwischenzeitlich hohen Maß an Selbstverantwortung.

Wir ergänzen in der Coachingarbeit meist eine wesentliche Komponente: Raum für Dialog und Bewusstsein.
Veränderungsprozesse sind je nach Intensität (allerdings steckt selbst in SAP-Einführungen oftmals ein zentraler Rollenwechsel einzelner Beteiligter) v.a. Kommunikationsarbeit. Erst in deren Verlauf wird manchem bewusst, wie weitreichend der Wandel wirklich ist, was er für Beziehungen, Rollenbilder, Gewohnheiten etc. bedeutet.
Diese emotionalen Dynamiken finden ohnehin statt. Die ersten drei genannten Strategien lassen diese Dynamiken im Verborgenen wirken.
Ferner sind lebendige Systeme, in denen Interaktion gelingt und damit Kreativität möglich wird, zu echten Innovationsschritten in der Lage. Es ist halt ein Unterschied, ob ein Management seine eigenen tollen Ideen ausrollen will oder alle Akteure damit beschäftigt sind, die gemeinsam für sinnvoll erachteten Veränderungen in Gang zu setzen. Das setzt zumeist überraschende Energien frei.

Es lohnt also, ausreichend Raum für Dialog, Reflexion und Kreativlabore zu bieten.
Echte Entwicklungsarbeit erscheint dann am Anfang mühseliger, ermöglicht jeder Organisation, jedem Team darüber hinaus jedoch ein Lernen auf der Metaebene: Wie werden und bleiben wir wandlungsfähig?
Und das ist und bleibt eine Schlüsselkompetenz zukunftsfähiger und agiler Organisationen.