Der 6. Sinn oder die Angst vor dem Elfmeter

Im allgemeinen Sprachgebrauch gehen wir von 5 Sinnen des Menschen aus.
Den 6. Sinn ordnen wir gern dem Übersinnlichen zu, dabei ist er doch zwischen unseren Ohren verortet: die Erfahrung unseres Gehirns.

Gemeinhin gehen wir von den fünf Sinnen Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten aus.
Wenn jemand Gefahr erahnt oder etwas bemerkt, was nicht bewusst den fünf Sinnen zuzuordnen ist, sprechen wir gern vom 6. Sinn.

Nach den Erkenntnissen aus der Gehirnforschung gibt es diesen tatsächlich. Es ist das Erfahrungswissen unserer Intuition, die sich meldet.
Im Unterbewussten wird eine andere Komplexität an Sinnesreizen verarbeitet und abgespeichert. Dies führt dazu, dass unsere Intuition Muster erkennt, die unserem Bewusstsein bislang entgangen sind. Das kann als 6. Sinn mitunter sehr hilfreich sein.

Die Erfahrung ist zugleich so mächtig, dass sie sich oftmals als Filter über alle anderen Wahrnehmungen legt. Dies kennen wir als Phänomen beim ersten Eindruck oder bei den psychologischen Phänomenen der Übertragung und Projektion.
Sehr anschaulich beschrieben wird dies beispielsweise bei Paul Watzlawik in der bekannten Geschichte über den Mann, der sich einen Hammer leihen will.

Wie mächtig die Erfahrung wirken kann, zeigt sich außerdem im Phänomen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Pünktlich zur Weltmeisterschaft fragte dazu gestern die Süddeutsche: Warum haben Engländer Angst vor Elfmetern?
Es ist naheliegend, dass die reiche Erfahrung an Fehlschüssen (kein anderes Nationalteam ist fünf Mal in Folge im Elfmeterschießen gescheitert) sowie der Gedanke, als Engländer könne man vom Punkt nur Scheitern, zu Druck und zu übermäßiger Hast führt und damit die Teufelsspirale in Gang setzt.
Demgegenüber wird ein englischer Elfmeterexperte zitiert, der auf Vertrauen in das eigene Können (genährt durch Erfahrungen mit Erfolgen z. B. durch häufiges Training) und die Imagination von schönen Bildern wie den jubelnden Rängen setzt.
Wer sein Gehirn auf Erfolgserfahrungen lenkt, kann also in eine Positivspirale einsteigen.

Der sechste Sinn steht uns somit auch bewusst zur Verfügung. Emotionale Erfahrungen sind abgespeichert und können aktiviert werden. Gute wie auch schlechte.
Angst vor Elfmetern (als Synonym für andere Situationen, die uns Bauchweh bereiten) ist ein Signal unserer Intuition, der Erfahrung.
Viele und v. a. emotional bedeutsame Lernsituation des Gelingens lenken meine Erfahrung auf neue Annahmen. Denn wie jeden anderen Sinn, können wir auch unsere Erfahrung schärfen und ausrichten.

Und dann können scheinbare Bedrohungssituationen mit Gelassenheit gelöst werden:




„Da habe ich aber mehr erwartet…“ Ein folgenschwerer Satz für den Sprecher wie auch seinen Kommunikationspartner. Was Erwartungen in unserem Kopf auslösen und warum es hilfreich ist, vorsichtig mit ihnen umzugehen.

Eine der wichtigsten Funktionen unseres Gehirns ist zwar, Erwartungen über die naheliegende Zukunft zu treffen und uns dafür in Bewegung zu setzen, doch der biochemische Cocktail, der dabei produziert wird, hat so seine Tücken in sich.

Von unseren Erwartungen können wir erwarten, dass sie uns in Alarmbereitschaft, wenn vermeintlich Gefahr droht und in Vorfreude auf Belohnungen versetzen. Daher begegnen wir Veränderungen häufig mit Vorsicht oder Abwehr und manchmal mit einem hohen Energielevel - in allen Fällen sind besondere biochemische Prozesse in unseren Köpfen in Gang gekommen. Vorfreude wirkt übrigens in uns stärker als die eigentliche Belohnung selbst.

Zugleich sorgen Erwartungen aller Art dafür, dass wir in bestimmter Form (nämlich reduziert) Informationen verarbeiten, kreativ werden und verzerrt wahrnehmen. Dies führt zu einem mehr oder weniger regelmäßigen himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt unseres Gehirns.