Teamwork: Warum Zugehörigkeit ein zentrales Bedürfnis ist

“Menschen, die miteinander arbeiten, addieren ihre Potenziale. Menschen, die füreinander arbeiten, multiplizieren ihre Potenziale!“ sagt Steffen Kirchner.

Was ökonomisch sinnvoll erscheint ist letztlich nichts anderes als ein menschliches Grundbedürfnis.

Nichts war in evolutionär frühen Zeiten wichtiger als die Einbindung in eine Gruppe. Überleben ging nur gemeinsam.
Insofern ist uns unverändert angeboren, die Welt in Freunde und Feinde einzuteilen und uns nach Gruppen umzuschauen, in denen wir uns wohl, aufgehoben und sicher fühlen.
Abgrenzung zu anderen verstärkt dabei meist die identitätsstiftende Wirkung - wir kennen das z. B. aus dem Sport und den Rivalitäten zwischen Schwartzgelb und Königsblau, in der Politik aus dem Nationalismus und in der Wirtschaft im Streit zwischen Marken, schlimmstenfalls aus der Silobildung innerhalb einer Organisation.

Für Leader gibt es immer wieder Situationen, in denen ihnen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit begegnet oder sie aber dafür bestimmte Bedingungen schaffen müssen.
Nachfolgend habe ich 5 Praxissituationen dargestellt.

Delegation - Vertrauen als struktureller Vorsprung

Vertrauen führt.
Es ist ein ökonomischer Faktor, der Wertschöpfung maßgeblich beeinflusst. Vertrauen haben beispielsweise Ehrbare Kaufleute schon immer als Vorsprung im Handel genutzt.

Wir sollten uns nur stets bewusst sein: Die Standardeinstellung unseres Gehirns ist auf „Feind“ programmiert. Andersartigkeit bedient das Misstrauen, so dass man Menschen nicht einfach zu Teamwork beauftragen kann. Es ist verständlich, warum es so oft heißt, Vertrauen müsse man sich erarbeiten, verdienen oder es müsse eben wachsen.
Es zeugt von einer starken und belastbaren Beziehung zu sich selbst, dieses evolutionäre Erbe zu überspringen und erst einmal grundsätzlich von der (Auf-)Richtigkeit, Redlichkeit und Wahrheit bei Personen, ihren Aussagen und Überzeugungen sowie Handlungen überzeugt zu sein.

Augenhöhe, Ich ok - Du ok, Vertrauensvorschuss, all das klingt gut und richtig für unseren Verstand. Allein: unsere Emotionen spielen da nicht immer mit.
Leader können sie überlisten. Vertrauen schenken und dann als Unterstützer, Ansprechpartner, Entscheidungshilfe zur Verfügung stehen und einen regelmäßigen Feedbackdialog zu übertragener Verantwortung installieren - das hilft beiden Partnern, positive Emotionen mit geschenktem Vertrauen zu verbinden.
Sind Fehler dann nicht Fehler, sondern Anlass, gemeinsam zu lernen, nachzusteuern, Unklarheiten zu beseitigen, Missverständnisse aufzuklären, dann kann Vertrauen weiter wachsen. Das fällt besonders den Leadern leicht, die ihre KollegInnen dabei erwischen mögen, das Richtige getan zu haben und in Kontakt zu sein, also selbst ein hohes Zugehörigkeitsbedürfnis zu empfinden.

Teambuilding

Im Allgemeinen entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl, wenn positive Signale einer Gruppe wahrgenommen werden, wenn der Eindruck entsteht, es gibt Verbindendes, idealerweise gemeinsame Ziele.
Um Ähnlichkeit und Bedürfnisse überhaupt erspüren zu können, haben wir Menschen die Fähigkeit zur Empathie ausgebildet. Spiegelneuronen helfen, mitzufühlen, uns einzufühlen oder in Kommunikation und Interaktion, wie unser Gegenüber zu uns steht.
Dank der Spiegelneuronen ist Gähnen ansteckend und stößt uns sauer auf (=Ekel), wenn der Kollege vom Chef zur Minna gemacht wird (=sozialer Schmerz).
Hier ein Video über die Macht der Empathie:


Bei allem Bedürfnis entstehen dennoch zwischen uns Menschen immer wieder Spannungen. Das liegt sowohl an der o.g. Grundeinstellung des Gehirns als auch mit unserer Art, die Welt wahrzunehmen und zu interpretieren.
Da unsere Erfahrungen als wichtigster Sinn unsere Interpretationen und Annahmen von der Welt einfärben, ist Kommunikation ein vermintes Feld. Daher sind wir gerade in neuen Konstellationen besonders vorsichtig, beobachtend, abwartend und zeigen uns eher von der besseren Seite. Erst wenn wir uns sicher und zugehörig fühlen, tauchen noch andere Seiten aus der Tiefe unseres Persönlichkeitseisbergs auf…

Bei Neueinstellungen oder Teamveränderungen wird gern auf „Passung“ geachtet.
Diese sollte jedoch weniger aus vermeintlicher Ähnlichkeit gespeist sein, sondern Ergebnis gemeinsamer Auseinandersetzung über zentrale gemeinsame Ziele und Werte sein. Gruppen tut es gut und es beschleunigt ihre Entwicklung, wenn (und das nicht nur bei veränderter Zusammensetzung) dafür regelmäßiger und intensiver Dialog gepflegt wird.
Also abseits der rein operativen Fragen ausreichend Raum für die Reflexion von Zielen, Prioritäten und Werten eingeräumt wird.
Das stärkt bei den einzelnen Mitgliedern das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Kommunikationswege

Reduzierte Kommunikation wie etwa in Mails behindert die Fähigkeit zur Empathie.
Telefonkonferenzen, Mails und Co. verknappen die sozialen Signale unserer Mimik, Gestik und Ausdrucksweise und fördern das Missverständnispotential. Videokonferenzen können dies teilweise abfedern.

Gruppen aus der Distanz heraus zu führen, ist keine einfache Aufgabe.
Echte zwischenmenschliche Verbundenheit kann hier kaum entstehen. Sie fokussiert eher auf das gemeinsame Ziel und die individuellen Beiträge, die dazu geleistet werden können. Das ist eine Aufgabe für Menschen mit weniger stark ausgeprägtem Zugehörigkeitsbedürfnis in ihrem Berufsleben.
Leader tun gut daran, immer wieder die gemeinsame Zielsetzung zu fokussieren und die individuellen Beiträge zum Erfolg sichtbar werden zu lassen. Das stärkt die individuelle Verbundenheit.

Nähe und Distanz

Die Qualität sozialer Verbindungen zu heben, verbessert auch die Produktivität.
Das Bedrohungspotential nimmt ab und Menschen sehen um sich herum mehr Freunde als Feinde. Dafür benötigen wir Zeit, wiederholte soziale Kontakte und mithin Gelegenheit, einander kennenzulernen.

Leader schaffen mitunter recht unpersönliche Arbeitswelten, in denen Menschen auf ihre Funktion reduziert werden. Sie wissen kaum etwas übereinander und sollen über Zielkonflikte hinweg gut miteinander arbeiten.
Kein Wunder, dass sie in Workshops immer wieder begrüßen, sich endlich mal persönlich austauschen und kennenlernen zu können.
Es braucht dafür nicht zwingend ritualisierte Ausflüge oder Bierabend, um miteinander bekannt zu werden. Gemeinsame Mittagspausen oder Kaffeeecken, in denen informell miteinander geschnackt werden kann, können schon viel bringen.
Für Leader ist es immer auch eine Frage der Vorbildfunktion, ob und wie Persönliches oder auch Privates ins Gespräch kommt.

Zugleich ist es für Führungskräfte, die aus der Gruppe heraus befördert worden sind, schwierig, den nun neuen Beziehungsrhythmus zu ihren KollegInnen zu definieren.
War Nähe und Zugehörigkeit bislang kein Bedrohungsszenario, kann fehlende Distanz zu Schwierigkeiten bei der Vermittlung von Zielen oder Regularien führen.
Wer hier zwischen den Stühlen sitzt und die neue Rolle in Verbindung mit Zugehörigkeit nicht sauber klärt und lebt, landet leicht auf dem Hosenboden. Spätestens jetzt zeigt sich, dass Zugehörigkeit nicht allein eine Frage der persönlichen Nähe, sondern v.a. der Verbundenheit in der Ausrichtung auf gemeinsame Ziele mit individuellen Rollenaufträgen bedeutet.

Nachfolgesituation oder Kündigung

Im systemischen Verstehen von Beziehungsdynamiken gibt es das Recht auf Zugehörigkeit.
Jeder gehört zu verschiedenen sozialen Systemen: zu der Herkunftsfamilie, der Gegenwartsfamilie und zu einem oder mehreren Arbeitssystemen. Das Recht auf Zugehörigkeit wird beispielsweise bei Fusionen oder Restrukturierungen, Kündigungen oder Nachfolgesituationen regelmäßig missachtet.

Zugehörigkeit verjährt nämlich nicht.
Das gilt ebenso für Gründer von Unternehmen oder ehemalige Mitarbeiter, die nun Rentner oder Ex-Kollegen sind, die noch immer wie ein Geist durch die Zusammenarbeit spuken. Sie stehen emotional-intuitiv für etwas, z. B. für:

  • Wurzeln des Erfolgs
  • Grundwerte, über die nie diskutiert werden musste
  • Entwicklungsrichtungen einer Gruppe, die nie angepackt wurden
  • Tabuthemen

Bei Kündigungen drehen sich Leader eher darum, wie die Botschaft übermittelt und begründet wird und weniger, welche Auswirkungen das auf das Teamgefüge hat.
Neue Besen kehren gut - nach dem Prinzip ordnen Nachfolger gern eine vorgefundene Situation, ohne ausreichend an Bisheriges anzuknüpfen.
Ein Thementräger geht und plötzlich steht niemand mehr dafür ein oder das schwarze Schaf einer Gruppe ist weg und man richtet sich in seiner Welt wieder bequem ein - all das geht bewusster und mit der Möglichkeit in Beziehung voran zu kommen.
Auch hier hilft Bewusst-Sein und Auseinandersetzung.
Oder man schafft eine bewusste Erinnerung an jemanden, der gegangen ist und damit eine positive Wirkung auf Mitarbeiter und Kunden (z.B. in Form von Fotos des Gründers im Foyer des Unternehmens). Jeder spürt, dass die Wurzeln heutigen Erfolgs gesehen und gewürdigt werden.
Das fördert zugleich den Stolz der aktuell sich zugehörig fühlenden Menschen.

Abschluss

Zugehörigkeit ist ein Gefühl und es ist ein menschliches Bedürfnis.
Es ist nicht auf Knopfdruck zu erzeugen und erfüllt uns oftmals unbewusst.
Allein das Fehlen dieses Gefühls wird oftmals häufiger thematisiert als die Zutaten, die es bereits entstehen lassen.
Mitunter ist das Gefühl der Verbundenheit das letzte Band, das zusammenhält, wenn die Bedingungen um eine Gruppe herum schwierig sind.