Grundlagen der Neurostrategie®

Stefan Meraths Gastartikel zur Blogparade #EmotionSchafftMehrwert erläutert, worauf es bei guter Strategiearbeit tatsächlich ankommt. Eine Pflichtlektüre für alle Entscheider.

Strategie scheint noch immer ein Feld zu sein, das vorwiegend rational und analytisch funktioniert. Man erstellt Marktanalysen und Kundenbefragungen, teilt Marktsegmente in Melkkühe und arme Hunde ein, macht Chancen- und Risiko-Abschätzungen usw. Und am Ende steht eine rationale Entscheidung, die dann umgesetzt wird. Jeder, der an einer wirklichen Strategie-Entwicklung und –Umsetzung beteiligt war, weiß, dass nichts weiter von der Realität entfernt ist als dieses Modell.

Betrachten wir uns das mal im Einzelnen:
Gute oder funktionierende Strategien?

Jeder einigermaßen erfahrene Unternehmer oder Strategieberater hat ein intuitives Gespür für gute oder schlechte Strategien. Nehmen wir zwei Unternehmen. Wenn die erste Firma sagt, sie bietet Full-Service im Internetbereich an und die zweite sagt, sie sei auf Bezahlverfahren für digitale Güter im Internet spezialisiert, dann werden sich fast alle erfahrenen Strategen die zweite genauer anschauen. Hinter der ersten verbirgt sich nämlich in aller Regel ein 1- bis 7-köpfiger Hühnerhaufen, der bei jeder Kundenanfrage wild durcheinander rennt.
Es gibt also Kriterien, mit denen man erkennen kann, was eine gute und was eine schlechte Strategie ist. Für kleine und mittlere Unternehmen sind diese Kriterien zum Beispiel in den vier Prinzipien der engpasskonzentrierten Strategie EKS® beschrieben:

  • Spitz statt breit: Möglichst schnell Marktführer in einer kleinen Zielgruppe mit einem Produkt werden und von dort aus wachsen.
  • Konzentration auf den Engpass: Nicht alle Probleme lösen, sondern das brennendste Problem des Kunden.
  • Immaterielles vor Materiellem: Zuerst sind Ideen, Beziehungen, Abläufe entscheidend. Die materiellen Ergebnisse folgen nach.
  • Nutzen vor Gewinn: Sich zuerst auf den Nutzen zu konzentrieren. Der Gewinn folgt dann automatisch nach.

Nun hat jeder einigermaßen erfahrene Unternehmer oder Strategieberater aber auch schon folgende Erfahrung gemacht: Da war der eine Unternehmer, der eine grottenschlechte Strategie hatte und „plötzlich“ trotzdem erfolgreich wurde. Und dann gab es den anderen Unternehmer, der die absolute Gewinnerstrategie auf dem Tisch hatte und damit „aus unerfindlichen Gründen“ baden ging.
Ganz offensichtlich gibt es den kleinen aber wichtigen Unterschied zwischen einer guten und einer funktionierenden Strategie. Und uns Unternehmer interessiert nur die letztere!

Der Unterschied zwischen guten und funktionierenden Strategien

Typischerweise wird dieser Unterschied folgendermaßen erklärt. Der mit der grottenschlechten Strategie hatte dann einfach Glück. Oder bis zum Umfallen gerackert. Und der mit der Gewinnerstrategie hat eben Fehler bei der Umsetzung gemacht. Nun haben schon viele, zum Beispiel auch Prof. Faltin geschrieben, dass die Erklärung mit der „Umsetzung“ mehr vernebelt als erhellt. Was also passiert da wirklich?

Praktisch alle klassischen Strategielehren gehen von folgendem Paradigma aus: Es gibt einen Ort, an dem die Strategie definiert wird, also z.B. das Besprechungszimmer, in dem sich die Führungskräfte mit den Beratern für ein paar Tage verbarrikadieren oder auch die Dusche des Unternehmers, wo er vom Geistesblitz getroffen wird. Und es gibt einen davon verschiedenen Ort, an dem diese Strategie umgesetzt wird.
Nun hatte ich folgenden Coachingfall: Ein Unternehmer wollte eine Premiumstrategie verfolgen. Er fand einen ersten Interessenten. Und am Ende des Gesprächs fragte der Interessant: Das klingt ja alles schön, aber können Sie nicht am Preis noch was machen? Und der Unternehmer sagte ohne Nachzudenken: Ja.

Das ist bei einer Premiumstrategie ein absolutes No Go! Premium zeichnet sich dadurch aus, dass es teurer ist und sich eben nicht jeder Premium leisten kann! Aber was wir an dieser kurzen Geschichte sehen können, ist Folgendes: Es gibt einen Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden, nämlich eine Premiumstrategie zu wählen und einen zweiten Ort, an dem ebenfalls Entscheidungen getroffen werden, nämlich mit dem Preis runter zu gehen oder auch nicht. Nur: diese zweite Entscheidung erscheint dem Unternehmer nicht als strategische Entscheidung – sie findet ja nicht im Besprechungszimmer (oder unter der Dusche) statt.
Hat man einmal diese zweite Art der Entscheidungen im Blick, dann begegnen sie einem ständig: Zum Beispiel die Grafikerin, die sich spezialisieren wollte und dann doch bei jedem spannenden Auftrag wieder ja sagte. Oder der Inhaber einer Softwarefirma, der lieber noch eine neue Technologie recherchiert als mit seinen Kunden zu sprechen.

Ich bin absolut davon überzeugt, dass diese vielen kleinen Entscheidungen, die wir nicht berücksichtigen, mit weitem Abstand wichtiger sind als die großen Entscheidungen zu Beginn. Dazu ein Bild: Stellen Sie sich einen jungen Mann in einer Disko vor. Plötzlich sieht er am anderen Ende des Raums diese absolute Schönheit. Sein Blick verengt sich zum Tunnelblick, die Musik verschwindet und er nimmt nur noch sie wahr. Sein Ziel ist völlig klar und fokussiert.
Machen wir einen kleinen Zeitsprung, etwa eine Stunde in die Zukunft. Wir finden unseren jungen Mann an der Bar wieder. Dort erklärt er einem anderen, dass die schönsten Frauen immer strohdoof sind. Offensichtlich hat unser junger Mann irgendeinen Fehler bei der Umsetzung gemacht. Nur, was erklärt das? Gar nichts!

Der junge Mann hatte also ein klares Ziel. Er hatte vermutlich auch eine Strategie: zu ihr hinzulaufen und irgendwas zu sagen. Und dann ist was dazwischen gekommen. Seine Angst, sein mangelndes Selbstbewusstsein oder irgendwas Vergleichbares. Ähnlich ist es bei der Strategie: Da erarbeitet man ein Ziel und hat auch eine Idee für den Weg. Und dann kommt was dazwischen! Diese vielen kleinen Entscheidungen zwischen drin sind um ein Vielfaches wichtiger als die große Entscheidung zu Beginn.

Die Regeln im Kopf des Strategen - Entscheidungspsychologie

Nun wäre das alles für die Anhänger der rationalen Theorie kein Problem, wenn uns in jeder Sekunde bewusst wäre: „Ach, das widerspricht jetzt meiner Strategie, also handle ich mal anders.“ So funktioniert der Mensch leider (oder Gott sei Dank) nicht.
Ein großer Teil unserer Entscheidungen ist unbewusst oder wird im Moment der Entscheidung nur auf einen oder zwei abhängige Faktoren bezogen. Der Unternehmer im Fall oben zum Beispiel: Ich muss den Auftrag unbedingt kriegen, also gehe ich mit dem Preis runter. An die Strategie wird in diesem Moment überhaupt nicht gedacht.
Die Frage ist nun, was unsere unbewussten Entscheidungen genau beeinflusst. Und dafür gibt es drei wesentliche Faktoren.

Geschichten

Der amerikanische Wissenschaftler Gary Klein hat 30 Jahre lang die Entscheidungen von Experten untersucht. Das hat er nicht wie andere Wissenschaftler mit künstlich konstruierten Experimenten gemacht, sondern sozusagen in der freien Wildbahn. Unter anderem hat er Feuerwehreinsatzkräfte, Krankenschwestern auf der Intensivstation und leitende Offiziere auf Kriegsschiffen untersucht, also Menschen, die schnell weitreichende Entscheidungen treffen müssen.
Seine erste Überraschung erlebte er bei den Feuerwehreinsatzkräften, die steif und fest behaupteten, keine Entscheidungen zu treffen. Als er dem nachging, wurde ihm folgendes klar: Ein unerfahrener Feuerwehreinsatzleiter kommt zum Brandort, sieht am Haus hoch und stellt fest, es brennt bis unter die Werbetafel auf dem Dach. Er verliert keine Zeit und beginnt sofort mit den Löscharbeiten. Er denkt überhaupt nicht darüber nach, etwas anderes zu tun, z.B. eine Zigarette zu rauchen und den Brand erst einmal zu beobachten. Diese Optionen existieren nicht.
Nun kommt ein erfahrener Einsatzleiter an denselben Brandort, sieht am Haus hoch und stellt auch fest, dass es bis unter die Werbetafel brennt. Er weiß, dass diese gleich brennend herunterfallen kann, lässt deshalb zuerst die Absperrungen zurückschieben, damit niemand verletzt wird und beginnt erst dann mit den Löscharbeiten. Auch dieser Einsatzleiter hat nie darüber nachgedacht, sofort zu löschen. Diese Option existierte nicht für ihn.

Mit anderen Worten: Die allermeisten Entscheidungen sind Situationen, in denen nur eine Option in Betracht gezogen wird. Und welche dies ist, hängt von den Erfahrungen der Handelnden ab. Erfahrungen werden im Gehirn als Geschichten gespeichert.
Gehörte Geschichten sind oft weniger emotional als erlebte Geschichten. Deshalb werden erlebte Geschichten stärker als Referenzerfahrungen genommen. Aber bei dem Feuerwehreinsatzleiter genügt es vermutlich auch, wenn er nur einmal von einem Kollegen gehört hat, wie diesem brennende Teile vom Dach in die Menge gestürzt sind.
Auf die Strategie-“umsetzung” bezogen heißt dies: Je mehr strategische Referenzerfahrungen und Geschichten der Unternehmer kennt, desto adäquater werden automatisch die Entscheidungen.
Oder platter: Strategieumsetzung ist Erfahrungssache.

Umfeld

Zweitens werden unsere Entscheidungen oft durch das Umfeld, in dem wir uns bewegen, geprägt. Reagieren alle Unternehmer um uns herum auf schlechtere Verkaufszahlen mit Preisnachlässen, dann wird auch uns diese Option als erstes in den Sinn kommen. Oder ist unser Umfeld aus stark kreativen Menschen geprägt, die gerne experimentieren und sich ungerne festlegen, dann wird es auch uns schwer fallen, einen klaren strategischen Fokus dauerhaft aufrecht zu erhalten.
Platt ausgedrückt: Wer sich im Umfeld erfolgreicher Unternehmer bewegt, hat eine größere Chance, auch selbst erfolgreich zu werden.

Gefühle

Der letzte entscheidende – und meiner Meinung nach wichtigste – Faktor sind unsere Gefühle. Ich hatte vorne den Unternehmer mit der Premiumstrategie erwähnt. Dieser Unternehmer hatte schlicht und ergreifend ein “kleines” Finanzproblem. Er brauchte den Auftrag unbedingt und hatte Angst, ihn nicht zu bekommen. Die Kombination Angst mit Premiumstrategie geht aber immer nach hinten los! Bei dem jungen Mann genauso wie im Business.

Neurowissenschaftler sagen, dass 70 bis 99 Prozent unserer Entscheidungen emotional sind. Das bedeutet umgekehrt: Nur 1 bis 30 Prozent unserer Handlungen sind rational und geplant. Das bedeutet, dass auch nur 1 bis 30 Prozent unserer Entscheidungen bewusst an den Prinzipien einer guten Strategie ausgerichtet werden können. Der größere Teil unserer Entscheidungen gehorcht anderen, emotionalen und unbewussten Gesetzen.

Wenn wir nun die Prinzipien einer guten Strategie kennen, dann können wir folgende entscheidende Frage stellen, um auch Zugang zu den 70 bis 99 Prozent unserer emotionalen Handlungen zu bekommen: Welche Gefühle müssen mich als Unternehmer beherrschen, um automatisch die richtigen strategischen Entscheidungen zu treffen?

Wenn Sie als Unternehmer von Angst beherrscht werden, konzentrieren Sie sich dann auf eine kleine Zielgruppe und ein spezialisiertes Angebot? Oder lehnen Sie ab, wenn eine Anfrage außerhalb Ihrer Spezialisierung rein kommt? Eher nein: Sie nehmen alles, was Sie kriegen können. Achten Sie mit Angst stärker auf den Nutzen als auf den Gewinn? Auch nein: Sie wollen zuerst die Ursache Ihrer Angst, den empfundenen Mangel abstellen. Mit anderen Worten: wer als Stratege von Angst beherrscht wird (egal, ob er sich selbst diese Angst eingesteht oder nicht), trifft in 70 bis 99 Prozent der Fälle schlechte Entscheidungen. Und er bekommt das noch nicht mal mit! Also ist Angst ein schlechter Ratgeber.
Oder wenn Sie als Unternehmer von Gier beherrscht werden, konzentrieren Sie sich dann auf eine kleine Zielgruppe? Ebenfalls nein: Sie nehmen alles, was Sie kriegen können! Also ist auch Gier ein schlechter Ratgeber. So können Sie mit jedem Gefühl fortfahren und finden zum Schluss nur ein einziges Gefühl, das automatisch dazu führt, dass Sie schon unbewusst alle Prinzipien einer Strategie beachten. Und dieses Gefühl ist die Liebe zu seiner Zielgruppe. Probieren Sie es aus!

Wenn Sie Ihre Zielgruppe lieben, dann ist es leicht, sich auf diese zu fokussieren: Wieso wollen Sie sich auch mit Menschen abgeben, die Sie nicht lieben? Wenn Sie Ihre Zielgruppe lieben, dann möchten Sie, dass es diesen Menschen gut geht. Das können Sie am besten, indem Sie sich auf ihr brennendstes Problem konzentrieren. Und wenn Sie Ihre Zielgruppe lieben, dann stehen auch ganz automatisch der Nutzen dieser Menschen an erster und Ihr eigener Gewinn an zweiter Stelle.

Neurostrategie®

Das Neuromarketing brachte eine kleine Revolution: Der Kunde entscheidet nicht bewusst, sondern unbewusst und emotional. Aber das Neuromarketing ist nicht vollständig. Es wurde und wird weiter davon ausgegangen, dass der Unternehmer, der Stratege bewusst und rational entscheidet. Aber das tut er nicht.
Will ich als Neuromarketer den Kunden zum Kaufen bringen, dann muss ich mich um seine Emotionen kümmern. Und will ich als Unternehmercoach den Unternehmer zu einem guten Strategen entwickeln, dann muss ich mich auch um seine Emotionen kümmern.

Der Schlüssel zu einer funktionierenden Strategie ist nicht ein tolles Strategiemeeting. Sondern der Schlüssel liegt in den Geschichten, dem sozialen Umfeld und den beherrschenden Emotionen des Unternehmers, da diese die vielen kleinen strategischen Alltagsentscheidungen viel stärker determinieren als ein Strategiepapier in irgendeiner Schublade.

Und damit haben wir auch das Geheimnis gelöst, warum manche Unternehmer aus einer schlechten Strategie Gold machen und andere mit einer Gewinnerstrategie pleitegehen: Ihr innerer, emotionaler Autopilot ist im einen Fall richtig, im anderen Fall falsch eingestellt.

Mehr oder ausführliche Infos?
Die Neurostrategie® ist in meinem Buch “Die Kunst seine Kunden zu lieben” klar beschrieben. Autor Stefan Merath betreibt die Unternehmercoach GmbH.